Kultivierte Kunst
Ihr Ruf ist nicht besonders gut. Wir fürchten Mikroben als Keime, die Krankheiten verursachen und ohnehin würden wir sie schon gar nicht als schön bezeichnen. Dieses Bild wandelt sich jetzt, denn ein Trend unter Mikrobiologen hat Mikroben zu ästhetischen Wundern gemacht. Dabei werden übliche Nährmedien als Leinwand verwendet und durch Wachstum von Mikroben entstehen Gemälde, Skizzen und sogar 3D-Kunstwerke. Diese neue Kunstform in der Wissenschaft nennt sich übrigens Agar-Kunst.
Kunst meets Wissenschaft
Populär wurde die Agar-Kunst durch den Agar-Kunstwettbewerb der American Society for Microbiology (ASM). Während im Dezember 2014 ein Bild der Agar-Kunst von Rositsa Tashkova auf Social Media viral ging, kamen die Mitarbeiter von ASM auf die Idee, einen Wettbewerb zu veranstalten. Deshalb wurde ein Jahr später der erste Agar Art Contest ins Leben gerufen.
ASM veranstaltet seit mehreren Jahren den Agar Art Contest und ermutigt Menschen aus aller Welt, ihre künstlerische Seite und Wissenschaft auf diese Weise zu verbinden. Dabei erstellen Teilnehmer Bilder auf Agarplatten oder ähnlichen künstlerischen „Medien“. Als Farbpalette dienen Mikroorganismen wie Bakterien, Pilzen oder Hefe. Die Ansammlung von Mikroorganismen erzeugt einzigartige Bilder. Sie halten so lange, wie die Kolonien gedeihen. ASM-Mitarbeiter beurteilten die Einsendungen in den Kategorien Wissenschaftler (Professional), Nicht-Wissenschaftler (Maker) und Kinder (Kids). Auch die Öffentlichkeit kann über Social Media für ihren Favoriten abstimmen.
Grundstein der Agar-Kunst
Vor Jahrhunderten züchteten Mikrobiologen Bakterien auf Lebensmitteln wie Kartoffeln, geronnenen Eiweiß oder Fleisch. Obschon Robert Koch (1843-1910) die Kultivierung von Bakterien mit einem festen, transparenten und sterilisierbaren Medium verbessern wollte. Dabei erschien Gelatine eine gute Wahl zu sein, diese verflüssigt sich jedoch ab 37 °C. Eine Temperatur, bei der viele Mikroorganismen gezüchtet werden. Erst als seine Laborassistentin Angelina Hesse (1850-1934) einen in Gelees und Pudding verwendeten Bestandteil entdeckte, konnte die Grundlage eines verbesserten Wachstumsmediums geschaffen werden. Dieser Bestandteil war Agar, eine gelatinöse Substanz, die aus Meeresalgen isoliert wird. Sie berichtete Koch von dieser Idee. Dieser verwendete Agar schließlich zur Züchtung von dem Bakterium Mycobacterium tuberculosis, welches Tuberkulose verursacht. Leider erhielt Hesse nie die Anerkennung für ihre Entdeckung, aber ihr Beitrag revolutionierte die Art und Weise, wie Wissenschaftler Mikroben züchten.
Zur Herstellung von Agarplatten wird hierzu noch Agarpulver mit Nährstoffen und Wasser vermischt. Wissenschaftler haben eine Vielzahl von Agarplatten geschaffen, um den Bedürfnissen zahlreicher Mikroorganismen gerecht zu werden. Somit liegt eine farbenfrohe Auswahl vor, die perfekt als unkonventionelle Leinwand für die lebende Kunst dient.
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Malerei mit Mikroben
Das Malen mit Bakterien ist nicht neu. Der Wissenschaftler Alexander Fleming, der in den 1920er Jahren für die Entdeckung des Penicillins verantwortlich war, begann während seiner Karriere als Mikrobiologe mit der Herstellung von Keimbildern aus Bakterien. Seine Werke umfassten Porträts und Bilder im Zeichentrickfilmstil. Allerdings erhielt seine Kunst zu der Zeit keine große Anerkennung.
Ebenfalls wie andere Kunstformen braucht auch die Agar-Kunst ein gewisses Maß an Planung. Dabei wird Schritt für Schritt eine Idee entwickelt. Erst die Komposition erstellt, dann das Medium ausgewählt und zuletzt die Farben bestimmt. Eine zusätzlicher Faktor sind die Eigenheiten der Organismen. Beispielsweise benötigen Bakterienarten unterschiedliche Nährstoffe, um eine Agarplatte erfolgreich zu besiedeln. Außerdem können Bakterienstämme asymmetrisch wachsen oder sich übereinander vermehren. Die Agar-Kunst erfordert also ständige Beobachtung und viel Geduld. Mikroben werden auf die Agarplatten gemalt, während sie noch unsichtbar für das menschliche Auge sind. Nach der Wachstumsphase der verwendeten Mikroben wird das Kunstwerk erst sichtbar und überlebt nur für wenige Tage.
Die Farbwelt der Mikroben
Einige Mikroben produzieren Farbe auf natürliche Weise. Andere Mikroben sind genetisch so modifiziert, dass sie in hellen Rosa-, Grün- und Blautönen fluoreszieren. Beispielsweise kommen verschiedene Arten von Streptomyces in Pigmenten von Rot, Blau oder Schwarz vor. Durch gentechnische Modifizierung mit grün und rot fluoreszierende Proteine, passen die Künstler das Aussehen der Bakterien nach ihren Vorstellungen an.
Vom Labor in die Welt
Obwohl wir ständig von Mikroben umgeben sind, sind die Meisten für uns unsichtbar. Dennoch reichen einige Tage mikrobiellen Wachstums aus, um uns die versteckte Welt zu enthüllen und aus einem Wissenschaftler einen Agar-Künstler zu machen. Die Agar-Kunst ist bereits in die dänischen Kunstlehrpläne aufgenommen worden und wurde bei einer Veranstaltung der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2019 vorgestellt. Seitdem findet die Agar-Kunst viele Anhänger in heimischen Biolaboren und ist Inspirationsquelle für Wettbewerbe weltweit.
Weitere Informationen
Weitere Einblicke in die Kunst der Mikroben finden sie hier: American Society for Microbiology
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Quellen:
Hardie, M.: Unconventional Uses of Microbes: How Bacteria Becomes Art, https://www.goldbio.com/articles/article/unconventional-uses-of-microbes-how-bacteria-becomes-art
Tsang, J. (2019): This gorgeous art was made with a surprising substance: live bacteria, https://www.nationalgeographic.com/science/2019/11/agar-art-contest-winners-create-gorgeous-art-from-live-bacteria/
Open Science – Lebenswissenschaften im Dialog (2016): Mikroorganismen in der Lebensmittelproduktion, https://www.openscience.or.at/hungryforscienceblog/mikroorganismen-in-der-lebensmittelproduktion/
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