Prüfen und Kalibrieren von Flaschenaufsatz-Büretten und -Dispensern

  22.03.2023Kategorie Wissen & How-To, Wissenschaft

Wenn ein Anwender im chemischen, biologischen oder klinischen Labor mit Flüssigkeiten arbeitet, stellt sich immer die Frage nach dem korrekten Volumen. Die Mess- und Prüfmittelüberwachung nach GLP/GMP und DIN EN ISO 9001 u.a. fordert von den Anwendern, Liquid Handling-Geräte wie Flaschenaufsatz-Büretten und -Dispenser regelmäßig zu überprüfen. Die korrekte Abgabe von Flüssigkeitsvolumen ist in vielen Prozessen essentiell, um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten und die erforderlichen Qualitätsstandards einzuhalten.

Die Anwendungsbereiche sind vielfältig. Typische Fragestellungen können dabei sein:

  • Klinische Diagnose: Habe ich die korrekte Menge Nachweisreagenz zur Patientenprobe gegeben?
  • Analytisch-chemische Nachweisverfahren: Kann ich dem Ergebnis der durchgeführten Titration vertrauen?
  • Industrielle Abfüllprozesse: Habe ich die vertraglich zugesagte Menge einer Flüssigkeit geliefert?

Steigt man tiefer in die Thematik ein, begegnen einem Begriffe wie Prüfen, Kalibrieren und Justieren. Im vorliegenden Artikel soll darauf eingegangen werden, was diese Begriffe bedeuten und von wem diese Tätigkeiten sinnvoller weise durchgeführt werden sollten.

Prüfen

Prüfen bedeutet, dass man die gemessene relevante physikalische Größe einem definierten Sollwert gegenüberstellt und bewertet. Eine einfache Überprüfung einer Flaschenaufsatz-Bürette kann zum Beispiel mit einem Messkolben erfolgen. Man dosiert das Medium mit der Flaschenaufsatz-Bürette in einen Messkolben, der dem Nennvolumen der Flaschenaufsatz-Bürette entspricht. Erreicht der Meniskus der Flüssigkeit die Ringmarke des Messkolbens, beendet man die Dosierung und liest an der Flaschenaufsatz-Bürette das abgegebene Volumen ab. Dieses sollte dann, unter Einbeziehen der Gerätetoleranzen, dem Nennvolumen des Messkolbens entsprechen. Für Dispenser gibt es spezielle Prüfmesskolben.

Diese Art der Überprüfung kann nur dazu dienen, schnell und einfach einen generellen Überblick des Gerätezustands zu bekommen und große Abweichungen zu identifizieren. Beispielsweise als Funktionsüberprüfung nachdem ein Gerät zerlegt wurde (kein Ansaugen von Luft auf Grund von falsch eingeschraubten Ventilen?) oder zu Beginn der Arbeitswoche (hat über das Wochenende eine Verunreinigung einen Kanal im Gerät verstopft?). Es kann auch dazu dienen, den Gerätezustand nach Umfallen, Sturz oder sonstiger äußerer Einwirkung zu bewerten. Das Prüfen wird also sinnvollerweise von dem Anwender selbst am Einsatzort des Gerätes durchgeführt. Ein solches Vorgehen darf aber nicht mit einem Kalibrieren im Sinne der relevanten Normen verwechselt werden

Messkolben mit 3 Marken. Der Prüfmesskolben mit 3 Marken dient zur Überprüfung der Funktion eines Dispensers. Die mittlere Marke entspricht dem Nennvolumen, die obere und untere Marke den Fehlergrenzen

Kalibrieren

Kalibrieren bedeutet, die angezeigten Messwerte eines Gerätes hinsichtlich einer physikalischen Größe zu bestimmen und einem durch Messnormale (z.B. einem sehr genauen Gewichtsstück) definierten Referenzwert unter vorgegebenen Bedingungen gegenüberzustellen. Im Bereich der Volumenbestimmung mit Bezug auf die relevanten Normen bedeutet es, dass die vom Gerät abgegebene Flüssigkeitsmenge mit einer Waage erfasst wird. Der Wägewert (die Masse) wird dann über einen Umrechnungsfaktor – den sogenannte Korrekturfaktor Z (siehe aktuelle DIN EN ISO 8655-6) – in das abgegebene Volumen umgerechnet. Zum Kalibrieren des volumenabgebenden Gerätes ist die Kenntnis der Dichte der verwendeten Flüssigkeit bei der Messtemperatur notwendig, sowie die bei der Messung herrschende Temperatur der Flüssigkeit, der Lufttemperatur, der Luftdruck und die relative Luftfeuchte. Weiterhin müssen die temperaturabhängigen Effekte auf das abgemessene Volumen des Gerätes berücksichtigt werden – falls diese vom Hersteller angegeben sind. Die Messung und Beherrschung der vorgenannten Umweltparameter ist nicht trivial. Der für die Kalibrierung verwendete Messraum muss klimaüberwacht sein, wobei die Raumtemperatur nach ISO 8655:2022 zwischen 17°C und 23°C liegen muss und die Schwankungen maximal 0,5°C pro Stunde betragen dürfen. Die relative Luftfeuchte muss im Bereich von 45% bis 80% liegen und ebenfalls stabil sein. Je nach bereits vorhandener Ausstattung in den Räumen der Anwender der zu kalibrierenden Geräte kann das zu erheblichen Investitionen und Betriebskosten führen.

 

Schematische Verläufe von Messpunkten falls die Temperaturänderungen des Prüfmediums nicht in die Volumenberechnungen einbezogen werden 1. Temperaturzunahme 2. Temperaturabnahme 3. Temperatur schwankt stark oder ungleichmäßige Bedienung des Gerätes

 

Verschiedene Richtlinien und Normen verlangen darüber hinaus auch noch die Betrachtung der Messunsicherheit des Kalibrierverfahrens. Die Messunsicherheit ist die Unsicherheit des Messverfahrens, wie es im jeweiligen Kalibrierlabor umgesetzt wird. Hierzu muss zum einen die systematische Messunsicherheit ermittelt werden, welche unter anderem die Messunsicherheitsbeiträge der Waage, des Raumklimas und des zur Messung verwendeten Wassers berücksichtigt. Zum anderen muss aber auch die zufällige Messunsicherheit ermittelt werden, welche sich aus der Wiederholbarkeit der Messung ergibt und damit maßgeblich von der Erfahrung und dem Fingerspitzengefühl des Bedienpersonals abhängt.

Die im Laufe der Kalibrierung erhaltenen Messpunkte sowie der in der statistischen Auswertung daraus berechnete Mittelwert der Messreihe können in Bereichen liegen, die man in Bezug auf die Fehlergrenzen des zu kalibrierenden Gerätes als „sicher“ oder „unsicher“ bezeichnen kann. Liegt der Messwert bzw. der berechnete Mittelwert einer Messreihe zusammen mit seiner Messunsicherheit innerhalb der Fehlergrenzen, wird er mit dem Bewertungskriterium A versehen – die Kalibrierung wurde bestanden. Liegt der Messwert mit seiner Messunsicherheit außerhalb der Fehlergrenzen, wird er mit dem Bewertungskriterium C versehen – die Kalibrierung wurde nicht bestanden. Liegt der Messwert mit seiner Messunsicherheit weder vollständig innerhalb noch vollständig außerhalb der Fehlergrenzen ist keine eindeutige Bewertung möglich. Man kann sich also nicht „sicher“ sein, ob die Kalibrierung bestanden ist oder nicht. Der Wert liegt in einem „unsicheren“ Bereich. Solch ein Messwert wird mit dem Bewertungskriterium B versehen.

 

 

Sollte die Kalibrierung nicht bestanden oder mit dem Bewertungskriterium B abgeschlossen werden, müssen sowohl das Gerät als auch das Prüfverfahren genau betrachtet werden. Folgende Fragen sind unter anderem zu beantworten: Ist das Gerät dicht? Ist das Gerät sauber? Sind keine Defekte vorhanden? Wurde das Prüfverfahren korrekt durchgeführt?

Diese Fragen kann naturgemäß der Hersteller der Geräte am zuverlässigsten beantworten. Es macht also durchaus Sinn Flaschenaufsatz-Büretten und -Dispenser zur Kalibrierung an den Hersteller zu senden. Zudem spart man sich eventuelle Zusatzkosten bei der Raumklimatisierung, die Anschaffung von  Prüfgeräten (Waagen und Thermostate für das Wasser) und Kosten für die Qualifizierung des Prüfpersonals.

Ist jedoch qualifiziertes Prüfpersonal und geeignete Infrastruktur vorhanden, spricht auch nichts gegen ein Kalibrieren durch den Anwender – spezielle Kalibriersoftware wie EASYCAL™ 5, kann den Anwender in seinen Prozessen unterstützen.

Justieren

Wird die Kalibrierung mit dem Bewertungskriterium B oder C abgeschlossen und alle kritischen Fragen mit Ja beantwortet, kann man davon ausgehen, dass das ermittelte Volumen des Gerätes korrekt ist – auch wenn die Anzeige vom Zielwert abweicht. Zur Absicherung ist eine Wiederholung der Kalibrierung zu empfehlen.

Nun könnte man die in der Kalibrierung ermittelte Abweichung in seinen Unterlagen für das spezifische Gerät erfassen und beim nächsten Mal bei der Volumenabgabe als Korrekturwert einberechnen. In der Praxis wird aber anders verfahren. Liquid Handling Geräte werden in diesem Fall justiert, was bedeutet, dass man technisch in das Gerät eingreift. Je nach Bauart wird das Gerät über die Änderung des Kolbenhubs so angepasst, dass das auf der Skala angezeigte Volumen dem tatsächlich abgegebenen Volumen entspricht oder es wird der am Gerät angezeigte Volumenwert dem tatsächlich gemessenen Wert angepasst. Danach muss dann nochmals kalibriert werden, um den Erfolg der Justierung zu bestätigen oder gegebenenfalls nochmals nachjustiert werden. Sollte die Justierung mehrfach fehlschlagen, liegt vermutlich ein Gerätedefekt vor und macht eine Reparatur durch den Gerätehersteller oder dessen Servicepartner notwendig.

Justieren eines Flaschenaufsatz-Dispensers Dispensette® S Digital mit der Easy Calibration-Technik: das angezeigte Volumen wird dem tatsächlich gemessenen Volumen angepasst

Fazit

Kommt man zurück auf die eingangs gestellte Frage „Wer soll eine Prüfung durchführen, und wer soll eine Kalibrierung durchführen?“, kann verallgemeinert empfohlen werden: Prüfung durch den Anwender, Kalibrierung durch den Hersteller der Geräte, insbesondere falls zusätzlich mit einer Wartung oder Reparatur des Gerätes zu rechnen ist.

Weitere Informationen

Dieser Blogbeitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Firma BRAND. Quelle aller Bilder: BRAND

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