Welcome to the Jungle – Teil 2: Die Landschaft der Chemikalienqualitäten und -spezifikationen
Nachdem im ersten Teil u.a. Definitionen und nicht regulierte Qualitäten behandelt wurden, sollen im zweiten Teil dieser Themenreihe regulierte Qualitäten und Anwendungsempfehlungen von Chemikalien für bestimmte Zwecke dargestellt werden.
Wie oben erwähnt gibt es auch Qualitätsanforderungen an Chemikalien, die aufgrund einer Literaturquelle eindeutige Spezifikationen aufweisen. Als Beispiele werden hier die Referenzen der Arzneibücher (USP, EP, BP, JP, CP, IPC, etc.), des von der American Chemical Society (ACS) veröffentlichen Buches „Reagent Chemicals“ und des ISO Standards 6353-3 „Reagents for chemical analysis“ genannt.
Die United States Pharmacopeia (USP) legt die Verwendung von Chemikalien mit ACS Spezifikationen fest, sofern die Spezifikationen für die Reagenzien im Kompendium nicht anders beschrieben wurden. Compendiale Spezifikationen der USP werden bei Chemikalien üblicherweise mit Reag. USP beschrieben. Sollte ein Reagenz weder in ACS Spezifikation oder compendial definiert sein, so sollte das Reagenz „fit for purpose“ sein.
Nachfolgend finden Sie das Zitat der USP:
United States Pharmacopeia (USP) – GENERAL NOTICES AND REQUIREMENTS, Kapitel 6.70 (aus dem Englischen übersetzt)
„Die ordnungsgemäße Durchführung der Kompendienverfahren und die Verlässlichkeit der Ergebnisse hängen zum Teil von den bei der Durchführung der Verfahren verwendeten Reagenzien ab. Sofern nicht anders angegeben, sind Reagenzien zu verwenden, die den Spezifikationen in der aktuellen Ausgabe der von der American Chemical Society (ACS) veröffentlichten Reagent Chemicals entsprechen. Sind solche ACS-Spezifikationen für Reagenzien nicht verfügbar oder weicht die geforderte Reinheit davon ab, werden kompendiale Spezifikationen für Reagenzien akzeptabler Qualität angegeben (siehe Abschnitt Reagenzien, Indikatoren und Lösungen der USP-NF). Reagenzien, die nicht durch eine dieser Spezifikationen abgedeckt sind, sollten eine Qualität aufweisen, die für die ordnungsgemäße Durchführung der betreffenden Methode, des Tests oder der Untersuchung geeignet ist.“
Das Europäische Arzneibuch (Pharmacopoeia Europaea, Ph. Eur.) beschreibt geeignete Reagenzien im Kapitel 4. Reagenzien und Unterabschnitte. Die Ph. Eur. geht davon aus, dass Reagenzien analytischer Qualität verwendet werden. Reagenzien, die die Spezifikationen der Ph. Eur. erfüllen werden gemeinhin mit Reag. Ph. Eur. bezeichnet.
Auch hier können Sie das Zitat aus den „General notices“ nachlesen:
Pharmacopoeia Europaea (Ph. Eur.) – General notices – Kapitel 1.2.7 – Reagents and Solvents (aus dem Englischen übersetzt)
„Die ordnungsgemäße Durchführung der in der Ph. Eur. beschriebenen compendialen Verfahren und die Zuverlässigkeit der Ergebnisse hängen zum Teil von der Qualität der verwendeten Reagenzien ab. Die Reagenzien sind in der Ph. Eur. unter 4. beschrieben. Reagenzien und Unterabschnitte. Es wird davon ausgegangen, dass Reagenzien von analytischer Qualität verwendet werden; für einige Reagenzien sind Tests zur Bestimmung der Eignung in der Beschreibung enthalten.“
Chemikalien, welche die Bezeichnung ACS tragen, erfüllen die Spezifikationen aus „Reagent Chemicals“ der American Chemical Society (ACS Reagent Chemicals: Specifications and Procedures for Reagents and Standard-Grade Reference Materials, 11th Edition, 2016)
Chemikalien, welche die Bezeichnung ISO tragen, erfüllen die Spezifikationen des internationalen Standards ISO 6353-3:1987 Reagents for chemical analysis – Part 3: Specifications
Nachdem die interessierten Leser bisher im Wesentlichen einiges über Reinheiten, Spezifikationen und Qualitäten von Chemikalien erfahren haben, wird sich nun jeder die Frage stellen, wann man am besten welche Chemikalie einsetzt. Diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten, da sich je nach Verwendungszweck ganz unterschiedliche Anforderungen an die Chemikalienqualität ergeben.
Chemikalien zur Synthese
Insbesondere in Laboren der Organischen Chemie ist die Synthese und die Aufreinigung von Verbindungen eines der Hauptziele. Die Qualitätsanforderungen sind dabei abhängig von den verschiedenen Phasen im Syntheseverfahren.
Reinheitsgrad | Beschreibung |
---|---|
Zur Synthese | Lösemittel für organische Synthesen. Die Mindestreinheit ist normalerweise höher als 99,5 %. Die nicht-flüchtigen Anteile und der Wasseranteil sind spezifiziert. |
Trockene Lösemittel | Lösemittel mit extrem niedrigem Wassergehalt, die speziell für sehr feuchtigkeitssensitive Synthesen entwickelt wurden. |
Für die Analyse mittels GC | Reagenzien, die sorgfältig durch GC-ECD und GC-FID kontrolliert wurden. |
Für die IR Analyse | Reagenzien zum Gebrauch in der Infrarot-Spektroskopie. (Musiktipp hierzu: Placebo, Infra-Red, 2006) |
Für UV, IR und HPLC | Lösemittel zum Gebrauch in der Spektroskopie (Ultraviolett und Infrarot) und HPLC. (Musiktipp hierzu: U2, Ultra Violet, 1992) |
Analytische Reagenzien für allgemeine Anwendungen
In der chemischen Analyse ist die Genauigkeit der Ergebnisse ganz besonders wichtig. Somit ist die Verwendung von Reagenzien entsprechender Qualtitäten ebenfalls entscheidend.
Reinheitsgrad | Beschreibung |
---|---|
Technisch | Chemikalien angemessener Reinheit, die bezüglich des Mindestgehalts keinen offiziellen Qualitätsstandards folgen. In der Regel hat das Produkt eine Reinheit von mindestens 90 %. |
Volumetrische Lösungen | Lösungen mit bekanntem Titer für die Titration. Gebrauchsfertige Lösungen, die zurückführbar auf NIST Standard Reference Materials sind. Die Rückführbarkeit ist hierbei eine ununterbrochene Kette von Vergleichen (Kalibrationen), die auf einen anerkannten Standard zurückgeht, gewöhnlich auf eine SI-Einheit oder ein Artefakt. |
Pufferlösungen | Gebrauchsfertige Pufferlösungen, ebenfalls zurückführbar auf NIST Standard Reference Materials. |
Reinst oder Reinst, Pharmaqualität | Produkte angemessener Reinheit zur Verwendung als Hilfsmittel in chemischen Analysen. Chemikalien, die die Reinheitsanforderungen der Pharmakopö-Monographien erfüllen und somit in der Pharmaindustrie verwendet werden können. |
Zur Analyse | Reagenzien, die speziell für allgemeine analytische Anwendungen geeignet sind. |
Zur Analyse (Reag. Ph. Eur.), ACS, ISO | Reagenzien, die speziell für allgemeine analytische Anwendungen geeignet sind. Die Bezeichnung ACS bedeutet, dass das Produkt die durch die American Chemical Society festgelegten Anforderungen bezüglich analytischer Reagenzien erfüllt oder übersteigt. Die Bezeichnung ISO bedeutet, dass das Produkt die durch die Internationale Organisation für Normung festgelegten Anforderungen bezüglich analytischer Reagenzien erfüllt oder übersteigt. Die Bezeichnung "Reag. Ph. Eur." bedeutet, dass das Produkt die in dem Kapitel analytische Reagenzien der Pharmacopoeia beschriebenen Anforderungen erfüllt. |
Reagenzien für die Hochleistungsflüssigchromatographie (HPLC)
Bei Reagenzien für die Hochleistungsflüssigchromatographie (HPLC) handelt es sich um hochreine Lösungsmittel, die speziell für die Verwendung in der HPLC, Ultra-Hochleistungsflüssigchromatographie (UHPLC), Gel-Permeations-Chromatographie (GPC), Ionenchromatographie (IC) und GC entwickelt wurden.
Die Qualitätskontrolle beinhaltet dabei die IR, UV und den Reinheitsgrad (die meisten Lösemittel liegen bei 99,9 %). Zudem haben sie einen sehr niedrigen Abdampfgrad und Wassergehalt. All diese Lösemittel sind mikrofiltriert (0,2 µm) und unter Stickstoffatmosphäre abgefüllt. Andere Spezifikationen werden, in Abhängikgkeit von der Produktqualität, hinzugefügt.
Reinheitsgrad | Beschreibung |
---|---|
Für UV, IR und HPLC | Lösemittel zum Gebrauch in der Spektrophotometrie und HPLC / UHPLC. Streng kontrolliert für den Gebrauch in Analytik von Pestiziden und polyaromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) mittels HPLC. Sehr hohe Durchlässigkeit bei Fluoreszenz und UV Detektoren. Säuren mit einem sehr niedrigen Metallgehalt. Geeignet für die Analyse von Schwermetallen und anderer Elemente im ppm-Bereich. In den meisten Fällen liegt der Gehalt unter 0,1 ppb (μg/L). |
Für HPLC / UHPLC | Lösemittel zum Gebrauch in der Spektroskopie und HPLC / UHPLC. Hoher Durchlassgrad in UV / Fluoreszenzdetektoren. Sehr niedriger nicht-flüchtiger Anteil. |
Für LC-MS | Lösemittel zum Gebrauch in der LC-MS. Sehr niedrige Metallkonzentrationen und kontrolliert durch LC-MS. |
Für PAHs und die Pestizidanalyse mittels HPLC / UHPLC | Lösemittel zum Gebrauch in der Spektrophotometrie und HPLC / UHPLC. Streng kontrolliert für den Gebrauch in PAHs und Pestizidanalyse mittels HPLC. Sehr hohe Durchlässigkeit bei Fluoreszenz und UV Detektoren. |
Standards für IC | Anion- und Kationstandards, Einzelelementstandard mit einer Konzentration von 1,000 g/L und Multielementstandards in verschiedenen Konzentrationen. Rückführbar auf NIST Standard Reference Materials. |
Anwendungsleitfaden für die korrekte Auswahl von Qualitätslösemitteln für die HPLC
Reagenzien für die Gaschromatographie (GC)
Reagenzien für die Gaschromatographie werden speziell für die Verwendung in Gaschromatographen entwickelt. Je nach Anwendung werden zusätzlich verschiedene Detektoren verwendet (ECD, FID oder MS). Alle Lösemittel sind mikrofiltriert (0,2 µm) und in Stickstoffatmosphäre abgefüllt.
Reinheitsgrad | Beschreibung |
---|---|
Für die Pestizidanalyse mittels GC | Reagenzien zur Analyse von Pestizdrückständen in der Lebensmittelindustrie und im Umweltschutz. Sorgfältig kontrolliert durch GC-ECD und GC-FID. |
Für Headspace GC | Lösemittel zum Gebrauch in der Headspace GC. Lösemittel mit maximaler Reinheit zur Verwendung in der Aufbereitung von Proben zur anschließenden Analyse mittels Headspace Gas Chromatographie. Zur Kontrolle von Lösungsmittelrückständen in Arzneimitteln (gemäß „Ph. Eur.“ und USP). |
Derivatisierungsreagenzien | Reagenzien für die Gaschromatographie zum Derivatisieren anderer Verbindungen, um deren Volatilität, thermische Stabilität oder Nachweisgrenze durch GC Detektoren zu verbessern. |
Reagenzien für die Atomspektroskopie
Hochreine Reagenzien für die Metallspurenanalyse in Umweltlaboren, Qualitätslaboren und auch Forschungslaboren.
Reinheitsgrad | Beschreibung |
---|---|
Zur Analyse, niedriger Quecksilbergehalt | Säuren mit besonders niedrigem Quecksilbergehalt. Geeignet für die Quecksilberbestimmung mittels AAS Kaltdampftechnik. |
Für AAS | Säuren mit besonders niedrigem Metallgehalt. Geeignet für die Analyse von Schwermetallen und anderer Elemente im ppm-Bereich. Mehr als 30 Metalle werden spezifiziert. In den meisten Fällen liegt der Gehalt unter 0,005 ppm (mg/L). |
Für die Metallspurenanalyse (ppb) | Säuren mit einem sehr niedrigen Metallgehalt. Geeignet für die Analyse von Schwermetallen und anderer Elemente im ppm-Bereich. Mehr als 60 Metalle werden spezifiziert. In den meisten Fällen liegt der Gehalt unter 0,1 ppb (μg/L). |
Für die Metallspurenanalyse (ppt) | Säuren mit einem sehr niedrigen Metallgehalt. Geeignet für die Analyse von Schwermetallen und anderer Elemente im ppm-Bereich. Mehr als 60 Metalle werden spezifiziert. In den meisten Fällen liegt der Gehalt unter 10 ppt (ng/L). |
Fazit
Der zweiteilige Artikel liefert eine kurze Übersicht zu der Bedeutung von Chemikalienqualitäten, -reinheiten und -spezifikationen.
Der Unterschied zwischen regulierten und nicht regulierten Spezifikationen wurde klar herausgearbeitet und dargestellt.
Darüber hinaus wurde ein kurzer Überblick über die möglichen Einsatzzwecke von Chemikalien je nach Reinheitsgrad präsentiert.
Final wird stets ein genauer Vergleich der Spezifikationen durch den Kunden empfohlen, um die „Fitness for the (analytical) purpose“ zu garantieren. Hierbei lohnt es sich oftmals, den Griff nach der höherwertigen Qualität durchzuführen, um Arbeitszeit und somit auch Kosten für zeitraubende und demotivierende Versuchswiederholungen einzusparen. Meist sind die Lohnkosten für Versuchswiederholungen höher als die Kosten für die bessere Chemikalienqualität.
Enden soll dieser Artikel wie er begann – mit musikalischen Titeln.
Dem Ende angemessen ist R.E.M.s „It´s the end of the world as we know it” (R.E.M., „Document“, 1987) und natürlich Alanis Morissettes “Thank you” (Alanis Morissette, „Supposed Former Infatuation Junkie“, 1998) für Ihr konstantes Lesen bis zum Ende dieses Beitrages.
Weitere Informationen
Dieser Blogbeitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Dr. Jens Boertz und ITW Reagents/PanReac AppliChem. Quelle aller Bilder: ITW Reagents/PanReac AppliChem
Lesen Sie hier den ersten Teil dieses Blogs.
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